Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse
Maßgebliche Rechtsvorschrift für das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse ist § 278 StGB. Dem Vorwurf können sich neben Ärzten auch andere approbierte Medizinalpersonen, also etwa Zahnärzte oder psychologische Psychotherapeuten ausgesetzt sehen. Ob auch Heilpraktiker den Tatbestand des § 278 StGB erfüllen können, wird unter Juristen uneinheitlich bewertet. Nach meiner Auffassung ist das jedoch nicht der Fall, weil Heilpraktiker die Heilkunde „berufsmäßig ohne Bestallung“ ausüben und damit gerade nicht approbiert sind. Auch medizinische Fachangestellte, Pflegepersonal oder Heilpraktiker bleiben tatbestandlich ausgeschlossen – für sie kommt aber eine Strafbarkeit nach § 277 StGB (Unbefugtes Ausstellen von Gesundheitszeugnissen) in Betracht.
§ 278 StGB soll die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse für Behörden und Versicherungsgesellschaften sichern. Seit der Neufassung durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Impfpassfälschungen vom 24.11.2021 lautet der Tatbestand: „Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr als Arzt oder andere approbierte Medizinalperson ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Strafrechtlich relevant werden inhaltlich unrichtige Gesundheitszeugnisse, wenn der objektive und subjektive Tatbestand erfüllt ist.
Bereits berufsrechtlich ergibt sich bei der Ausstellung ärztlicher Zeugnisse oder Gutachten für Ärzte aus § 25 MBO die Pflicht, mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen. Strafrechtlich genügt nach heute geltendem Recht bereits dolus directus 2. Grades; ein Handeln „wider besseres Wissen“ wird vom aktuellen Gesetzeswortlaut nicht mehr vorausgesetzt.
Zeugnisse über den Gesundheitszustand
Zeugnisse über den Gesundheitszustand im Sinne des § 278 StGB sind Bescheinigungen ebenso über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, wie über frühere Krankheiten, ihre Spuren und Folgen oder über Gesundheitsaussichten, wobei auch Angaben tatsächlicher Natur, etwa über erfolgte Behandlungen bzw. deren Ergebnis erfasst sind. Nach überwiegender Auffassung ist die Angabe einer Diagnose zur Annahme eines Zeugnisses über den Gesundheitszustand im Sinne der Vorschrift nicht erforderlich. Der Wortlaut des § 278 StGB spricht zwar zunächst für die Anknüpfung an rein diagnostische Aussagen, ausgehend vom Schutzzweck der Norm wird jedoch argumentiert, dass für die geschützten Entscheidungsträger nicht nur die konkrete Diagnose, sondern jede für ihre Entscheidung gesundheitsrelevante Tatsache von Bedeutung sei. Die zu treffende Entscheidung beruhe regelmäßig gerade nicht nur auf der reinen Diagnose, sondern auf einer Auseinandersetzung mit den Ursachen, Symptomen, Ausprägungen und Folgen der Feststellungen zum Gesundheitszustand.
Somit kommen als Zeugnisse über den Gesundheitszustand unter anderem
- Krankenscheine
- Impfscheine (inkl. COVID-19-Impfbescheinigungen und Impfunfähigkeitsnachweise)
- Berichte über Blutalkoholuntersuchungen
- Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
- gutachterliche Äußerungen (z. B. für Versicherungen, MPU)
- Atteste (auch z.B. Maskenbefreiungen)
- Durchgangsarztberichte
in Betracht.
Nicht erfasst sind hingegen Totenscheine, da die Vorschrift an Bescheinigungen über den Gesundheitszustand lebender Menschen anknüpft. Auch ärztliche Rezepte sind nach herrschender Meinung nicht erfasst, da sie regelmäßig keine Bewertung des Gesundheitszustands enthalten.
Ein Gesundheitszeugnis ist ausgestellt, wenn es körperlich oder elektronisch hergestellt und durch eine Unterschrift oder qualifizierte elektronische Signatur mit der erkennbaren Verantwortungsübernahme des Arztes (oder der Medizinalperson) versehen ist. Die Vollendung liegt erst mit der Entäußerung in den Rechtsverkehr vor. Auch eine bloße Übergabe an Praxispersonal kann diesen Moment bereits markieren.
Unrichtigkeit
Weitere Voraussetzung zur Verwirklichung des Tatbestands ist, dass das Zeugnis inhaltlich unrichtig ist. Dies ist der Fall, wenn wesentliche Feststellungen nicht im Einklang mit den Tatsachen stehen oder nicht mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft in Einklang zu bringen sind. Auch Aussagen „ins Blaue hinein“ – ohne ausreichende Tatsachengrundlage – gelten als unrichtig. Dabei genügt es, wenn auch nur einzelne Komponenten des Zeugnisses objektiv falsch sind; eine Gesamtunrichtigkeit ist nicht erforderlich.
Es ist also nicht ausreichend, dass irgendeine Angabe in dem Zeugnis unzutreffend ist. Die unrichtige Angabe tatsächlicher Art muss vielmehr einen wesentlichen Bestandteil des Zeugnisses bilden, also für die Beurteilung erheblich sein, was von den Umständen des Einzelfalls abhängt.
Unrichtig ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs außerdem ein Gesundheitszeugnis, das ein Arzt ohne Untersuchung ausstellt, weil es ausgehend vom Schutzzweck des § 278 StGB als Beweismittel ebenso wertlos sein soll wie ein Zeugnis, das bei einer Untersuchung festgestellten Gesundheitszustand falsch darstellt:
„Nach § 278 StGB macht sich ein Arzt strafbar, der ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseren Wissens ausstellt. Hierunter fällt auch die Ausstellung eines solchen Zeugnisses ohne Untersuchung. Denn die Vorschrift soll die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse für Behörden und Versicherungsgesellschaften sichern; ein Zeugnis, das ein Arzt ohne Untersuchung ausstellt, ist als Beweismittel ebenso wertlos wie ein Zeugnis, das nach Untersuchung den hierbei festgestellten Gesundheitszustand unrichtig darstellt.“
BGH, Urteil vom 8. November 2006 – 2 StR 384/06
Die Unrichtigkeit kann sich also sowohl auf den Befund als auch auf die Beurteilung beziehen. Nach dieser Maßgabe ist ein Gesundheitszeugnis sogar dann unrichtig, wenn der ärztlich attestierte Sachverhalt möglicherweise der Wahrheit entspricht – entscheidend ist vielmehr, dass dem Zeugnis die methodisch saubere Feststellung zugrunde liegt. Der besondere Beweiswert ärztlicher Zeugnisse ergibt sich gerade aus der Erwartung einer objektiven, fachlich fundierten und unabhängig ermittelten Einschätzung.
Wann eine solche, dem Fall angemessene Unterrichtung vorliegt, lässt sich nicht schematisch beantworten. Zwar ist regelmäßig eine persönliche Untersuchung des Patienten erforderlich – insbesondere bei Attesten gegenüber Behörden oder Versicherungen. Es kann jedoch Ausnahmen geben, etwa bei chronisch bekannten Krankheitsbildern, stabilen Verläufen, psychischen Leiden oder medizinisch kontraindizierten physischen Untersuchungen. In diesen Fällen muss sich der Arzt jedoch vergewissern, dass die vom Patienten mitgeteilten Beschwerden in ein schlüssiges, plausibles Gesamtbild passen – und diese Einschätzung im Zeugnis dokumentieren.
In einer grundlegenden Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt betont, dass der Maßstab insbesondere bei Attesten gegenüber staatlichen Stellen höher anzusetzen ist:
„Hält der Arzt seinen Patienten für vertrauenswürdig und für intellektuell befähigt, seine Beschwerden hinreichend anschaulich zu schildern, und fügen sich die geschilderten Symptome widerspruchsfrei in ein bestimmtes Krankheitsbild ein, so darf der Arzt sicherlich auf diese Weise einen „Befund“ erheben, zumal die ärztlichen Gebührenordnungen (…) solche Leistungen für liquidationsfähig erklären. Erweist sich eine so gewonnene Diagnose als falsch, so wird nur der einzelne Patient in seinem Interessenbereich berührt. (…)
Anders ist der (im Gesetz übrigens nicht vorkommende) Begriff der „Befunderhebung“ jedoch zu verstehen, wenn es sich um ein für eine Behörde – hier das Gericht – ausgestelltes ärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen iS des § 278 StGB handelt. Daß dieser Begriff hier zweckbestimmt (teleologisch) ausgelegt werden muß, folgt schon aus allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen. Auch für den Arzt ist aber aus einer solchen gerichtlichen Aufforderung ohne weiteres ersichtlich, daß der Vertrauensgrundsatz zwischen Arzt und Patient, der im Innenverhältnis gelten mag, in dem konkreten Fall im Verhältnis Gericht/Patient nicht gilt, daß vielmehr das Mißtrauen des Richters in die persönlichen Angaben des Erscheinungspflichtigen über eine angebliche Erkrankung gerade der Anlaß für das Verlangen einer ärztlichen Bescheinigung ist. Das Gericht benötigt in solchen Fällen erkennbar gerade eine sachkundige Kontrolle solcher Angaben, nicht nur die Bestätigung, daß ähnliche ungeprüfte Angaben auch gegenüber dem Arzt gemacht worden sind und daß sie sich unter einen bestimmten Krankheitsbegriff einordnen lassen könnten“
OLG Frankfurt, Urteil vom 4. Mai 1977 – 2 Ss 146/77
Nach Auffassung des Gerichts wäre es in einem solchen Fall erforderlich gewesen, das Attest mit einem Hinweis zu versehen – etwa: „nach glaubhaften telefonischen Angaben des Patienten“. Andernfalls erweckt es einen nicht gerechtfertigten Anschein tatsächlicher eigener Feststellung.
Täuschung im Rechtsverkehr
Die Neufassung des § 278 StGB hat den bislang enger gefassten Adressatenkreis („zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft“) erheblich erweitert. Strafbar ist nunmehr bereits das Ausstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses „zur Täuschung im Rechtsverkehr“. Dies erfasst sämtliche denkbaren Verwendungen gegenüber Dritten, die sich auf den Gesundheitszustand verlassen – etwa auch Arbeitgeber, Bildungseinrichtungen oder private Vertragspartner.
Der Begriff des Rechtsverkehrs ist weit zu verstehen und umfasst jede Situation, in der ein Gesundheitszeugnis dazu geeignet ist, bei Dritten eine rechtlich relevante Disposition auszulösen. Damit sind beispielsweise auch Atteste über Arbeitsunfähigkeit, Impfbefreiungen oder Sporttauglichkeit gegenüber privaten Stellen vom Tatbestand erfasst. Die Neuregelung stellt insofern eine erhebliche Ausweitung dar.
Vorsatz und Täuschungsabsicht
Für die Strafbarkeit nach § 278 StGB ist neben der Erfüllung des objektiven Tatbestands Vorsatz erforderlich, der sich auf sämtliche Merkmale des objektiven Geschehens bezieht. Der Täter muss insbesondere wissen, dass das ausgestellte Gesundheitszeugnis unrichtig ist und dass es zur Täuschung im Rechtsverkehr eingesetzt werden soll.
Der frühere Gesetzeswortlaut verlangte ausdrücklich ein „Handeln wider besseres Wissen“. Mit der Neufassung 2021 wurde dieses Erfordernis gestrichen. Es genügt also mittlerweile, wenn der Aussteller weiß, dass der Inhalt objektiv nicht zutreffend ist.
Rechtsfolgen und Strafzumessung
§ 278 StGB sieht eine Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor. In der Praxis überwiegen Geldstrafen, insbesondere bei Ersttätern ohne einschlägige Vorbelastung.
Seit der Reform 2021 ist in § 278 Abs. 2 StGB ein besonders schwerer Fall geregelt. Dieser liegt insbesondere vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. Die Strafandrohung erhöht sich in diesen Fällen auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
Ein gewerbsmäßiges Handeln liegt nach der Legaldefinition dann vor, wenn der Täter sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und gewisser Dauer verschaffen will.
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